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Insights / Blog / Agilität & Organisation

Begegnungsstätte statt Arbeitsplatz

22. September 2020

COVID-19 revolutioniert unser Verständnis in puncto Arbeitsplatz. Remote Work ist plötzlich en vogue. In einem Artikel in der Computerwoche erklärt Joern Bock, warum das Büro künftig mehr Begegnungs- als Arbeitsstätte sein wird.

COVID-19 beeinflusst, wie wir leben, wie wir uns bewegen und auch wie wir arbeiten. Seit dem Shutdown im März agieren viele Berufstätige in Deutschland ausschließlich remote. Plötzlich scheint möglich, was in den Jahren zuvor nur sehr eingeschränkt Realität war. Mitarbeitende finden Gefallen am mobilen Arbeiten, sei es auf der Parkbank, im Café oder im heimischen Büro.

Aber auch zahlreiche Unternehmen haben ihre Einstellung zum Thema Remote Work grundlegend geändert. Homeoffice ist zu einer ernstzunehmenden Alternative geworden, die nach der Corona-Pandemie nicht einfach wieder so verschwinden wird. Deshalb besteht eine der größten Herausforderungen der Zukunft im Wandel des Konzepts "Büro": nämlich von der Arbeitsstätte hin zur Begegnungsstätte.

Die Grenzen von Remote Work

Bisher war in der Hauptsache alles, was mit "Arbeitsplatz" verbunden wurde, im Grunde von der Idee getrieben, eine optimale Umgebung für Mitarbeiter zu schaffen. Dabei bildete das Büro als "Arbeitsstätte" den Nukleus. Neben der Konzentrationsarbeit fand hier auch die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander sowie die fachliche Abstimmung statt. Remote Work war eher eine Ergänzung oder die Ausnahme.

Was wir in den letzten Monaten im Zuge von COVID-19 beobachten und lernen konnten, veranlasst allerdings dazu, einiges auf den Prüfstand zu stellen. Mobiles Arbeiten hat sich in der Krise als effizient herausgestellt, Teams funktionieren erstaunlich gut. Bei agil arbeitenden Unternehmen war das nicht so überraschend, bei anderen schon. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter heute das virtuelle Arbeiten und die dabei eingesetzten Tools wunderbar beherrschen, für nachfolgende Generationen wird das noch sehr viel selbstverständlicher sein.

Fest steht auch, dass Mitarbeitende künftig viel mehr Flexibilität von ihren Arbeitgebern erwarten. New Work wird nicht länger nur ein Arbeitsmodell oder Organisationsansatz sein, sondern gelebte Realität. Unternehmen müssen dem Rechnung tragen, da es nicht einfacher werden wird, Talente zu finden und auch zu binden. Flexible Arbeitsmodelle werden demzufolge nach der COVID-19-Pandemie gefragter denn je sein.

Aber! Remote Work hat auch ganz klare Grenzen. Beispielsweise lässt sich eine Bindung zum Unternehmen und zu den Kolleg:innen nur über Begegnung herstellen. Soziale Verbundenheit kommt nur dann zustande, wenn sich Leute treffen und austauschen - auch über die eigentliche Arbeit hinaus. Die daraus erwachsende Art der Kollaboration und das gegenseitige Unterstützen sind nach wie vor die wesentlichen Eckpfeiler einer erfolgreichen Teamarbeit und somit für den Unternehmenserfolg.

Und genau diese Erfolgsfaktoren kommen in einer hundertprozentigen Remote Organisation zu kurz. Die persönlichen Begegnungen und die dabei stattfindende informelle Kommunikation würden gänzlich entfallen. Diese Lücke schließen auch keine noch so ausgefeilten Tools für Videoconferencing, Office-Virtualisierung oder was auch immer in Zukunft noch so auf uns zukommen wird. Denn diese sind im Kern immer auf die Erhöhung der Effizienz der Zusammenarbeit ausgerichtete Werkzeuge. Sie können helfen und unterstützen, aber sie können die Face-to-Face Kommunikation nicht ersetzen.

Zukunftskonzept Workspace Duality

Es spricht vieles dafür, dass es zukünftig eine Unterscheidung von Begegnungs- und Arbeitsstätte geben wird. Mitarbeiter werden sich, je nach Lebensphase, für die zu ihnen passende Arbeitsstätte entscheiden. Das könnte das eigene Heim sein, gänzlich mobil, ein Co-Working-Space oder eben doch das klassische Büro.

Das klassische Büro wird also nach wie vor eine Alternative für diejenigen bleiben, die sich bewusst dafür als Arbeitsstätte entscheiden. Darüber hinaus wird es die wichtige Funktion einer Begegnungsstätte für die gesamte Mitarbeiterschaft übernehmen. Der Anteil an Begegnungsflächen wird erweitert. Konzepte für mehr Kreativarbeitsflächen und Meeting-Räume müssen entwickelt werden. Dafür kann das Kontingent an individuellen Konzentrationsarbeitsplätzen erheblich reduziert sein.

Mitarbeitende werden künftig das Büro regelmäßig als Begegnungsstätte nutzen. Hier findet sozialer Austausch, die gemeinsame Kreativarbeit und umfangreiche Abstimmung statt. Darüber hinaus dient das Büro als Ort der Weiterbildung und des Lernens.

So könnten sich Teams dazu entscheiden, in einem Rhythmus von zwei Wochen mehrere Tage im Büro zu verbringen, um den anstehenden Zyklus vorzubereiten, der dann wieder überwiegend remote erfolgt. In der Softwareindustrie haben sich dafür regelmäßige Zeremonien wie Review, Planning und Retrospektiven durchgesetzt. Des Weiteren finden periodisch firmenweite Präsenztage mit dem Ziel des Austauschs über Teamgrenzen hinaus statt.

Der Fantasie für die Ausgestaltung eines solchen Büros als Basis oder Mutterschiff sind keine Grenzen gesetzt. Unternehmen werden individuelle Lösungen finden. Wobei, eines werden alle gemeinsam haben: 1:1-Beziehungen zwischen Mitarbeitenden und Arbeitsplatz sind passé.

Gesellschaftlicher Wandel in Sicht

Aktuell hat fast jeder erwerbstätige Erwachsene zwei voneinander getrennte Lebensräume, nämlich seine Privatwohnung und seinen Arbeitsplatz. Einer davon ist immer ungenutzt. Dies könnte sich nun ändern. Büroflächen werden sich eher verkleinern, unser Stadtbild wird wahrscheinlich in zehn Jahren ein anderes sein. Keine Rush-Hour mehr am Morgen oder am Abend, keine Büroimmobilien, die Platz für Tausende von Arbeitsplätzen bieten.

Bevor es aber soweit kommt, muss sich in Deutschland erst einmal die digitale Infrastruktur deutlich verbessern. Ohne adäquate Vernetzung sämtlicher Haushalte kann das Duality-Modell realistisch nicht optimal funktionieren. Doch wenn diese Hausaufgabe erst einmal gemacht wäre, würden sich aktuell noch undenkbare Möglichkeiten eröffnen. Die Distanz zwischen Mitarbeitern und Unternehmenssitz könnte gar immer größer werden. Denn was für eine Rolle würde es denn noch spielen, wo sich der Mitarbeiter physisch bei seiner Konzentrationsarbeit aufhält? Keine.

Getrieben durch die COVID-19 -Krise hat die Zukunft bei uns allen geklingelt und die Tür zu einem Paradigmenwechsel aufgestoßen.

Dieser Beitrag ist zuerst im Magazin Computerwoche erschienen. Wir freuen uns über Ihr Feedback und das Teilen des Artikels.

Originalbeitrag bei Computerwoche.de