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Insights / Blog / Agilität & Organisation

Computerwoche: Komplexität in IT-Projekten

07. Mai 2021
Daniel PötzingerDaniel PötzingerCTO

Die Herausforderung von (agilen) IT-Projekten liegt keineswegs nur im technologischen Bereich. Dabei ist technische Expertise eine notwendige Voraussetzung für alle Projekte mit IT-Anteil – aber sie ist längst nicht alles, worauf es ankommt.

In diesem Artikel möchte ich ein paar Gedanken zum Thema Komplexität in IT-Projekten und im Zusammenspiel mit Entwicklungsteams teilen. Dabei denke ich insbesondere an Innovations-Projekte, also solche, die potenziell wichtig für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens sind, weil sie entweder helfen sollen, bestehendes Geschäft auszubauen (exploit) oder neue (Geschäfts-)Möglichkeiten zu schaffen (explore). Diese Projekte innerhalb von Unternehmen befinden sich nach außen und nach innen in einem komplexen Umfeld. Mit dieser Komplexität möglichst gut umzugehen, ist wiederum ausschlaggebend für den Erfolg des Projektes und letztlich auch des gesamten Unternehmens.

Gerade in der aktuellen Zeit, in der große gesellschaftliche Themen und Krisen an Relevanz gewinnen und Änderungen in Gesellschaft und insbesondere im Wirtschaftssystem mit zunehmender Geschwindigkeit und Dynamik passieren, ist ein funktionierendes Komplexitätsmanagement unerlässlich.  Und je anpassungsfähiger und dynamikrobuster ein Unternehmen in diesem sich komplex verändernden Umfeld agiert, desto erfolgreicher kann es sein.

Gerade bei etablierten Organisationen (wie großen Konzernen), die von den Änderungen gezwungen werden zu reagieren, ist diese Herausforderung nochmal ungleich schwieriger: Oft beobachtet man hier, dass initial gut gemeinte und gut durchdachte IT-Initiativen zu wenig Schwung und Wirkung entwickeln und dass somit hochskalierte IT-Vorhaben teuer und ineffektiv werden. Und statt, dass der Funken „agile Transformation“ in das restliche Unternehmen übertragen wird und nun doch auch endlich in sämtlichen Abteilungen ankommt und seine Wirkung entfaltet, kann man Zynismus oder Frust beobachten.

In dem Spannungsfeld, das hierbei in etablierten Unternehmen entsteht, beobachtet man oft Dynamiken, die sogar bereits eingespielte Entwicklungsteams negativ beeinflussen – obwohl man doch so viel hätte lernen können.

Was ist eigentlich Komplexität?

Komplex ist eine Situation, wenn nicht vorhersehbar ist, was genau passieren wird. Wenn es nicht möglich ist alle Elemente, die damit in Verbindung stehen zu kennen, zu berücksichtigen und mitzudenken. Dies hat unter anderem zur Folge, dass Entscheidungsprozesse schwer strukturierbar sind. Wir brauchen aber ständig möglichst gute Entscheidungen, um erfolgreiche Projekte durchzuführen.

Für komplexe Situationen gibt es keine einfachen Lösungen. Wir dürfen auch nicht erwarten, dass die bloße Einführung agiler Methoden oder das alleinige Befolgen von Management- oder Transformationshandbüchern hier nachhaltig helfen.

Wir sollten uns stattdessen motiviert fühlen, ständig zu lernen und unsere Komplexitäts-Managementfähigkeiten und die Kommunikation darüber mit anderen permanent zu verbessern. Funktionierendes Komplexitätsmanagement kann unter anderem dadurch erreicht werden, mehr sinnvolle Perspektiven oder Aspekte differenziert mitzudenken und sich Zusammenhänge zu erschließen. Es bedeutet auch, dies gemeinsam tun zu können und an funktionierender Kommunikation und Kollaboration zu arbeiten. Moderne System- und Organisationstheorien geben hier wertvolle Perspektiven, die dabei helfen, wichtige Zusammenhänge besser analysieren zu können.

Ein Blick auf das System Unternehmen

Unternehmen agieren im Wirtschaftssystem und lösen Probleme (denen sie sich widmen), dafür gibt es in der Regel eine Vergütung, die letztlich notwendig ist, damit das Unternehmen Gewinn erzielt und weiter überleben kann.

Wenn wir ein solches Unternehmen als komplexes System betrachten, so haben wir zum einen das komplexe System des Unternehmens selbst (interne Referenz) und zum andern die Komplexität im Umfeld des Unternehmens (externe Referenzen).

Beiderseits gibt es jeweils viele Dimensionen und Differenzierungen, die mitgedacht werden wollen, um potenziell gute Entscheidungen treffen zu können. Um ein paar Beispiele für externe Dimensionen zu nennen, da wären natürlich die Kundenbedürfnisse (bediente Knappheiten), verschiedene Konkurrenzunternehmen, Partner und Lieferanten-Beziehungen, Investoren und Aktionärserwartungen, Regeln und Gesetze, bestehende Netzwerke sowie natürlich auch die Wechselwirkungen mit Politik, der Einfluss von Krisen usw.

Nach innen ist es die Realität der Unternehmenskultur und der etablierten Zusammenarbeit. Beispielweise die vorhandenen Assets, Hierarchiestrukturen, Weiterentwicklungs- und Karrieremöglichkeiten und welche Ziele Mitarbeiter:innen (wirklich) verfolgen. Systemisch ausgedrückt also die etablierten Kommunikationsmuster innerhalb des Systems Unternehmen.

Mit dieser Unbestimmtheit und Komplexität will umgegangen werden – es zählt, Zusammenhänge zu sehen und mitzudenken, dysfunktional wirkende Konditionierungen zu erkennen, kreativ in Teams zusammenzuarbeiten, sich zu Vernetzen, Visionen und Lösungen zusammen zu entwickeln usw. 

Komplexität besser begegnen

Es gibt viele großartige Denker:innen, die sich zum Thema Komplexität bereits geäußert haben, sowie in Bezug auf Unternehmensorganisation eine aktive Community mit Denker:innen, Berater:innen und Coaches mit viel Erfahrung und Expertise im Bereich Komplexität und Systemik.

An dieser Stelle deshalb nur ein paar unvollständige Impulse, denen man zu dem Thema begegnet und die ich persönlich als sinnvoll erachte. Man findet diese auch teilweise in den agilen Prinzipien und sie sind auch oft wichtige Bestandteile von Transformationsvorhaben.

Lernen:

Unternehmen sollten sich heutzutage immer auch als Bildungs- bzw. Lernorganisationen begreifen. Wenn sich die zu lösenden Probleme (komplex) ändern, muss Lernen selbstverständlich zur Wertschöpfung gehören. Auch der Umgang mit Komplexität kann ständig gelernt werden: Komplexitäts-Managementfähigkeiten lassen sich beobachten und lernen. Dazu gehört das Verständnis darüber, wie Lernen (oder besser Selbstbildung) für uns Menschen eigentlich funktioniert.

Systemisches Denken:

Dabei sollte man berücksichtigen, wie man systemisches Denken etablieren kann – um eben nicht (wieder) auf zu einfache Modelle und Theorien zurückzugehen und nicht auf eingespielte Muster, Konditionierungen oder Ideologien hereinzufallen.

Entscheidungen:

Viele Entscheidungen in Projekten müssen nicht am Anfang getroffen werden, sondern später im Prozess, wenn man mehr über ein Thema "weiß" und es wahrscheinlicher ist, mit der gewonnenen Erfahrung und Kompetenz "bessere" Entscheidungen zu treffen. Wenn Neues gelernt wurde, müssen diese Erkenntnisse integriert werden – ein Festhalten an "überholten" Entscheidungen zeugt oft nicht von wirklichem Lernen. Wenn man von Kompetenz getragene Entscheidungen will, ist es auch wichtig, wo und wie Entscheidungen getroffen werden dürfen und an was sie sich ausrichten.

Externe Perspektive:

Menschen sind normalerweise gut darin, (echte) Probleme zu lösen. Eine Ausrichtung an externen Referenzen, an der Wertschöpfung, ist essenziell, damit Kreativität und Problemlösungen auch potenziell dem Zweck des Unternehmens dienlich sind. Dagegen kann eine Ausrichtung nach innen (an internen Referenzen) oft dysfunktional wirken und in unnötiger (Eigen-)Beschäftigung münden. Gerade das macht es in vielen Konzernstrukturen schwer.

Teams und Kommunikation:

Kollektive Intelligenz ist für den Erfolg wichtig, da mehrere Perspektiven (oder Dimensionen) zusammenkommen und man gemeinsam viel mehr Wirkung erzielen kann. Damit diese "kollektive Intelligenz" entstehen kann, ist eine klare, reflektierte Kommunikation und das Erkennen von Kompetenzen wichtig.

Was kann man von eingespielten Entwicklungsteams lernen?

Wenn man jetzt mit dieser Perspektive auf bereits erfolgreich wirksame (agile) Entwicklungsteams schaut, so hat sich in diesen Teams eine Arbeitskultur entwickelt, die in einem komplexen, anspruchsvollen und dynamischen Umfeld gelernt hat, welches von ständiger Veränderung und Innovation in Technologien und wechselnden Projekt- und Kundenanforderungen geprägt ist. 

In solchen Teams ist oft eine "Ende zu Ende"-Verantwortung für ein Thema zu finden und es wird regelmäßig (iterativ) ein qualitativ hochwertiges Produkt zum Markt geliefert. Da wir hier von der Annahme ausgehen, dass das Team erfolgreich ist, lohnt es sich zu beobachten, was sich für Muster entwickelt haben.

Da das Team ständig neue Probleme löst, ist es in dem Team etabliert, regelmäßig Neues auszuprobieren und zu lernen. Innerhalb solcher Teams beobachtet man eine hohe Selbstlernexpertise. Die insbesondere im Agilen etablierten, regelmäßigen Feedbackschleifen und Reflektions-Zeremonien werden für das gemeinsame Lernen auf den verschiedenen Ebenen genutzt.

Teammitglieder haben auch erfahren, dass keiner alles kann und dass es trotzdem auf die Kompetenz jedes Einzelnen ankommt: In den Teams begegnet man sich auf Augenhöhe und hat erkannt, wie wichtig es ist, wirkungsvoll miteinander zu arbeiten und voneinander zu lernen.

Mit jedem neuen Projekt und jedem neuen Auftraggeber ändern sich natürlich die Rahmenbedingungen für ein Team. Es kann "passieren", dass die wirkungsvolle Zusammenarbeit durch "Übergriffigkeit" gestört wird. Kreativität und Energie im Team werden dann abgelenkt. Beispielsweise auf die Beschäftigung mit "außerhalb" getroffenen Fehlentscheidungen, auf Erfüllen ungünstiger Prozesse, Abstimmungen, Überformalisierungen oder auf das ständige Mitdenken sinnloser oder konkurrierender Vorgaben und Regeln. Die Gründe dafür sind meist komplex und liegen in den lang eingespielten Mustern des Auftraggebers – auch einseitige Abhängigkeitsbeziehungen (Auftraggeber <> Auftragnehmer) können hierfür Gründe sein. Das Ganze passiert schleichend, oft merkt man es gar nicht, weil es unbewusst abläuft. Aber solche dysfunktionalen Auswirkungen können nicht im Interesse des Unternehmens sein.

Ratsam ist es, umfangreiche und komplexe IT-Vorhaben mit Lern- und Trainingskonzepten rund um agiles Vorgehen und durch erfahrene Berater:innen/Coaches, die geübt im Komplexitäts-Management sind und systemische Perspektiven anwenden können, begleiten zu lassen.

Diese Coaches können helfen, dysfunktionale Muster und Dynamiken aufzudecken. Aber auch das kann nur wirkungsvoll sein, wenn es zur Gesamtorganisation passt und es wirklich auch Möglichkeiten für sinnvolle Interventionen gibt. Hier ist es hilfreich und oft auch erforderlich, Rollen mit formaler Macht im Unternehmen in den gemeinsamen Lern- und Reflektions-Prozess mit den Berater:innen zu haben.

Fazit

Komplexität ist Teil unserer Realität. Was wir gestern gelernt haben, ist morgen vermutlich nicht mehr funktional. Für Unternehmen, die erfolgreich werden oder bleiben wollen, bedeutet das, zu lernen, besser damit umgehen zu können – sonst tun es andere.

Wenn eingespielte agile Entwicklungsteams für Innovationsvorhaben beauftragt bzw. eingeplant werden, so gibt es deutlich mehr für die Organisation zu lernen und zu beachten als "nur" die technisch notwendige Expertise im Projekt zu haben. 

Gemeinsame Reflektions- und Lernprozesse mit erfahrenen (systemischen) Berater:innen sollten deshalb für viele Vorhaben mit eingeplant werden und mit dem Bewusstsein angegangen werden, dass hier potenziell noch viel mehr für den Erfolg des Projektes oder gar der Gesamtorganisation getan werden kann als auf dem ersten Blick ersichtlich.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift Computerwoche erschienen. Wir freuen uns über Ihr Feedback und das Teilen des Artikels.

Originalbeitrag auf Computerwoche.de